by herrberta.art
Herr Mann sitzt am Frühstückstisch und löst ein Kreuzworträtsel als das Telefon klingelt. Die meisten Antworten kennt er ohnehin und in den wenigen Fällen, in denen der Kreutworträtselerstellungsalgorythmus doch ein neues Wort eingefügt hat, spickt er.
Seine Frau kommt schimpfend aus dem Flur, in dem das Telefon steht, zurück. Der Vatikan möchte Herrn Mann heiligsprechen. Offensichtlich wieder eine neue Betrugsmasche, um alte Leuten übers Ohr zu hauen.
Sie setzt sich und nimmt die Zeitung zur Hand, die Empörung über den Telefonanruf wird zur üblichen Empörung über die Welt.
Das erneut klingelnde Telefon findet nach einem Blick auf die unbekannte 00374 Nummer nur aus der Ferne verärgerte Beachtung.
Diese Nummer erweist sich über die nächsten Tage als hartnäckig, aber seine Frau, die die Telefonanrufe üblicherweise annimmt, geht nicht ran. Was alle Beteiligten Nerven kostet, denn die Funktionalität, eine Nummer zu blockieren, ist nicht bekannt und wird dementsprechend nicht genutzt. Herr Mann und seine Frau ertragen also täglich – einer mürrisch, eine erbost – das Klingeln.
Als die Anrufe aufhören, kehrt unbemerkt Ruhe ein.
Rätselhefte werden allmorgendlich gefüllt, bis sich unter dem zu erwartenden Briefkasteninhalt ein sonderbar offizieller Umschlag findet.
Herr Mann beachtet ihn nicht weiter. Seine Frau kümmert sich um die Bürokratie, aber sie ist gerade nicht da. Der Umschlag landet auf dem Stapel, dessen sich seine Frau im Laufe des Tages annehmen wird. Er nimmt sich derweil der Lektüre der Rabatt- und Aktionswochenblättchen an.
Seiner Frau ist auf den ersten Blick klar, dass dieser Umschlag weder eine Rechnung, eine sonstige Vertragsinformation noch eine Benachrichtigung über Tod, Geburt oder Heirat ist. Er gehört folgerichtig in die Kategorie verdächtig.
Darüber hinaus erinnern sich weder Herr Mann noch sie an einen heiligsprechungswürdigen Vorfall und ein solcher ist auch im Freundes- und Verwandtenkreis unbekannt. Es bleibt unklar, wie der potentielle Betrugsversuch aufgebaut sein könnte. Glaubwürdigkeit erlangt der Brief trotz edlen Papiers und schicken Briefkopfs nicht. Sicher ist sicher. Man weiß ja nie. Nach einem letzten Stirnrunzeln wird der Brief in den Papiermüll entsorgt, ohne weitere Handlungen nach sich gezogen zu haben.
Herr Mann steht in der Einfahrt, er hat gerade die blaue Tonne an die Straße gestellt. Ein Kleinwagen hält, ein junger Mann steigt aus und fragt ihn nach ihm. Herr Mann gibt entsprechend Auskunft. Im Folgenden soll besprochen werden, wie er zu seiner Heiligsprechung am 11. Mai in den Vatikan gelangt. Man habe mehrfach versucht, ihn zu informieren, aber ohne Erfolg, daher sei der junge Mann nun persönlich angereist, um alles Notwendige zu arrangieren.
Herr Mann, dessen Frau Termine, Kalender und Verabredungen verwaltet, ist mit dieser Aufgabe überfordert. Zudem kommt ihm diese potentielle Aufregung gar nicht gelegen. Mit über achtzig reichen ihm die gelegentlichen Planänderungen durch seine Liebsten, und er hat kein Interesse an weiteren Überraschungen.
In diesem Alter kommen Krankheit und Sterben, aber selbst diese wenig überraschend.
Bei diesem Gedanken erinnert sich Herr Mann daran, dass die Heiligsprechung doch üblicherweise nach dem Tod erfolgt. Er weist den jungen Mann an, ihn doch bitte erst dann und dementsprechend in Abwesenheit heiligzusprechen. Er würde sich jedoch über ein kleines Hinweisschild am Grab freuen, oder vielleicht eine Urkunde für die Hinterbliebenen.
Und so sitzen Herr Mann und seine Frau am Abend am Küchentisch. Sie macht sich beim Abendessen Gedanken über die Kostenübernahme der Krankenkasse. Alt sein ist nicht nur unangenehm, es ist auch teuer.
Als er das Einräumen der Spülmaschine mit seinem üblichen Hinweis auf Sankt Herrmann beginnt, lächelt er unmerklich.
Das Artikelbild wurde mit Craiyon erstellt. Der Prompt war “white haired old man standing in the driveway of a small house scratching his head”
Das ist die erste Geschichte, die ich je geschrieben habe. O_O